Portrait von Kevin Silvergieter
Portrait von Kevin Silvergieter
Auf der Suche nach Selbstakzeptanz

„Ich genüge! Ich bin zufrieden mit mir! Ich reiche aus!“

Text von Kevin Silvergieter. Er ist Schauspieler, Model und Vater und berichtet auf seinem Instagram Kanal über das „Mann sein“.


„Ich genüge! Ich bin zufrieden mit mir! Ich reiche aus!“, denke ich, während ich durch die Sozialen Medien scrolle. Denn nicht nur durch meine Schauspieler-Tätigkeit sind Soziale Netzwerke ein großer Teil meines Lebens. Und somit auch der ständige Vergleich mit anderen Menschen. Und nein, das ist mitnichten ein Thema, das nur Frauen betrifft.


Männer sind mindestens genauso von dem Bild „Männlichkeit“ belastet, wie Frauen durch die Erwartungen an das Bild von einer Frau.

Oberkörperfreies Portrait von Kevin Silvergieter.
© Nathalie Scholl

Männer sollen in unserer Gesellschaft schon seit jeher stark sein, hart, rau, mutig und dominant. Zumindest war das lange das Idealbild von Männlichkeit. Nicht von ungefähr kam der beleidigende Ausdruck „Du Weichei“, den ich erfreulicherweise schon sehr lange nicht mehr gehört habe.


Nein, Männer sind nicht schwach. Und wenn, dann sind es „Luschen“, Kerle, die sich von einer Frau sagen lassen, was sie tun sollen, irgendwie keine „echten“ Männer. Nein, das denke ich nicht wirklich. Aber das sind Denkweisen, die mir von der Gesellschaft lange vorgelebt wurden. Auch wenn mein Vater nicht diesem Bild entsprach, zum Glück. Und er mir und meinem Bruder dieses auch nie versucht hat einzutrichtern, so war das Bild dieses Mannes, dieses starken, muskulösen und niemals Schwäche zeigenden Mannes, immer präsent. Weil Kinder ihre Vorbilder auch außerhalb der Familie finden.


Schnell war klar, dass ich alles andere als ein klassischer Mann war. Schon bevor mir klar war, dass ich schwul bin. Und gewissermaßen war mein Outing für mich und dieses starre Bild von Männlichkeit auch eine große Erleichterung. Denn als schwuler Mann war ich per se nicht kompatibel mit diesem Bild.

Dennoch, ich identifizierte mich als Mann und somit haben sich gewisse gesellschaftliche Merkmale von Männlichkeit durchaus tief in meinem Unterbewusstsein eingepflanzt.

Kevin Silvergieter
Kevin Silvergieter
Nahaufnahme: Kevin Silvergieter fasst sich an die Schulter
© Nathalie Scholl

Und so scrolle ich nicht lockerflockig durch Instagram und Co. Nein, auch ich vergleiche mich immer wieder. Also versuche ich mir immer wieder zu sagen, dass ich mich nicht vergleichen brauche. Dass mein Körper, meine Figur, mein Aussehen und meine Erscheinung ok sind.


Ich freue mich, wenn ich einen männlichen Influencer sehe, der mir in einem Video sagt und zeigt, dass sein Body zu Hause anders aussieht als im Gym. Denn so reflektiert und selbstbewusst ich auch glaube zu sein, ich tappe immer wieder in diese Social-Media-Falle.


Und derweil die einfachste Lösung sein könnte, sich von Social Media zu lösen, so ist dies doch nicht meine. Denn erstens ist die Präsenz im Internet ein wichtiger Bestandteil meines Berufes und zweitens möchte und kann ich nicht vor allem weglaufen, nur weil es einmal unangenehm wird. Das versuche ich auch meinen Kindern vorzuleben. Nicht nur das, ich möchte auch als Vater für meine Kinder das Bild von Mann sein prägen. Offline und online.


Ich möchte, dass mein Sohn und meine Tochter verstehen, dass Mann sein und Frau sein nicht mehr an gesellschaftliche Rollenbilder geknüpft sind. Dass sie keine Angst davor haben brauchen anders zu sein.


Stattdessen sollen sie an sich glauben, mutig sein, sie selbst zu sein und sich auf das ohnehin herausfordernde Abenteuer Leben einlassen, ohne zusätzlich noch an irgendwelche Vorgaben denken zu müssen.


Für meinen Sohn soll es klar sein, dass er im Haushalt mithilft und für meine Tochter soll es genauso klar sein, dass eine Frau nicht alle Aufgaben allein übernehmen muss.


Also konsumiere ich nicht nur Internet, sondern versuche es auch aktiv zu prägen. Indem ich mich zeige, mich als Diversity Mann, und so das traditionelle Bild von Männlichkeit mit beeinflusse.

Aber wie gehe ich mit dem immer noch alten Bild von Mann sein, mit der Rolle des Mannes in der Gesellschaft, um?

Kevin Silvergieter cremt seine Schulter ein.
© Nathalie Scholl

Ich habe noch nicht den perfekten Plan, wobei ich mich auch immer mehr frage, ob es diesen überhaupt gibt. Auch hier erlebe ich in der Gesellschaft einen Wandel. „Gut genug“ ist das neue „perfekt sein“. Und das ist so gut. So wichtig.


Um meinen Entwicklungsprozess besser deutlich zu machen, möchte ich etwas ausholen.

Ich hatte Mitte des Jahres eine Stimmband OP, weil ein Polyp an meinem Stimmband gefunden wurde. In dem Zuge der Untersuchung wurde mir eine Stimmstörung diagnostiziert, die durch eine falsche Nutzung der Stimmbäder entstanden ist. Das wiederum entstand durch eine sehr lange Überspannung meines Körpers. Was auch, wie ich heute glaube, durch meine Kontrolle über meinen Körper entstand. Und diese Kontrolle kommt sicher auch von einem Bild von Männlichkeit, das sich durch alle Formen von Medien schon so lange in mein Unterbewusstsein gebrannt hat.


Mir wird gerade beim Schreiben bewusst, wie sehr mich das Bild von Männlichkeit behindert hat. Wahrscheinlich immer noch behindert. Denn ich habe gewisse körperliche Ziele, die ich wahrscheinlich ohne Instagram, Werbung und Hollywood-Filme nicht hätte. Jetzt ist es zunächst kein ungesundes Ziel körperlich fit sein zu wollen, kann aber schnell eines werden. Zumal die perfekten Körper, die ich im Kopf habe, oft fernab von erreichbar sind. Vor allem als Vater, Eltern, mit Aufgaben im Haushalt und einem Beruf.

Wie sieht also gut genug aus, bei so viel Druck von außen?

Wie sorge ich für mich, um mich als nicht klassischer Mann dennoch gut zu fühlen?

Wie gehe ich mit mir und dem Bild von Männlichkeit um?

Kevin Silvergieter in einer Yoga-Meditationspose
© Nathalie Scholl

Ich minimiere meine Zeit in sozialen Netzwerken und nutze sie mehr als berufliche Plattform.

Ich schreibe in mein Journal und sage mir täglich: Ich bin genug.

Ich erinnere mich jeden Tag daran, dass Social Media oft fake ist.

Ich entfolge Menschen, die mir ein schlechtes Gefühl geben.


Was mir aber am meisten hilft ist, mehr nichts tun. Ich habe im Zuge meiner Stimmstörung eine logopädische Stimmtherapie begonnen und lerne mich und meinen Körper gerade ganz neu kennen. Denn dadurch habe ich ein so feines Gespür für meinen Körper bekommen, dass ich kleinste Signale schon erkenne und somit früh genug dagegen gehen kann.


Vor allem in dem ich nichts tue. Wirklich dasitzen, aus dem Fenster schauen und nichts tun. Ein Bad nehmen. Ohne Buch oder Handy. Sondern einfach da liegen und meinen Gedanken nachgehen.

Mich und meinen Körper annehmen. Nach einem Drehtag oder Shooting wirklich Pause machen. Nicht gleich wieder im Haushalt durchpowern und stark sein.

Kevin Silvergieter betrachtet seinen Oberarm
© Nathalie Scholl

„Schwach sein“

Dabei sollte es keine Einteilung in stark und schwach geben. Denn das sind so belastende und immer noch wertende Worte. Jeder ist mal stark, mal schwach. Und alle Menschen sollten so sein, wie sie sich fühlen. Unabhängig vom gefühlten und gesehenen Geschlecht.


Männern wurden so lange bewusst und unbewusst eingeredet stark sein zu müssen, dass es vielen schwer fällt, sich als Mann genug zu fühlen.


Männer, die versuchten dem klassischen Bild hinterher zu laufen fühlten sich nie genügend und Männer, die dem Bild von vornherein nicht entsprachen, hatten es schwer.


Schwäche wurde tabuisiert und damit ging ein großes Schweigen einher. Schweigen über alles was nicht diesem Bild entsprach. Und dadurch resultierte eine große Angst.


Ich möchte nicht, dass Jungs Angst haben müssen.

Ich möchte, dass jeder mehr sein darf.

Und ich möchte ich sein. Ohne in ein Bild passen zu müssen.


Dafür stehe ich.


Nicht alleine, denn es gibt schon viele neue Vorbilder und ein immer vielfältigeres neues Bild von Männlichkeit.

Diesem Bild braucht niemand mehr entsprechen, denn es ist universell.

Portrait Kevin Silvergieter
© Nathalie Scholl

Über: Kevin Silvergieter


Kevin ist Model, Schauspieler und Vater. Auf seinem Instagram Profil veröffentlicht er seinen Casting- und Shooting-Alltag und wie es ist auf Grund seines Äußeren regelmäßig beurteilt zu werden. Daneben thematisiert er nicht nur wie es ist ein Mann zu sein, in einer gleichgeschlechtlichen Ehe und in einer bunten Familie mit zwei Kindern zu leben, sondern auch wie das mit dem Beruf vereinbar ist.


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